Kritischen Menschenrechtsdialog mit Aserbaidschan auf Augenhöhe führen

Katrin Werner, MdB

Der Bundestag hat sich in den zurückliegenden Jahren bereits intensiv mit der Situation der Menschenrechte in Aserbaidschan beschäftigt. Auch Die Linke hat in dieser Wahlperiode einen eigenen Antrag eingebracht, der sich ganzheitlich und kritisch mit der Menschenrechtslage in allen drei Südkaukasusrepubliken auseinandersetzt.

Die Situation in Armenien und Georgien ist nämlich aus unserer Sicht keineswegs zufriedenstellender als in Aserbaidschan. SPD und Grüne haben seinerzeit unseren Antrag abgelehnt und beschränken sich in ihrem aktuellen, gemeinsamen Antrag auf Aserbaidschan. Darin offenbaren sich nicht nur unterschiedliche politische Herangehensweisen, regionalspezifisch versus länderspezifisch, bei diesem Thema. Der rot-grüne Antrag blickt vor allem hochgradig selektiv auf die komplexe Situation in Aserbaidschan, indem er ausschließlich Defizite thematisiert. Dadurch entsteht praktisch der Eindruck, als herrsche dort eine der finstersten Diktaturen der Welt, der irgendwie zu Leibe gerückt werden müsse. Ein kritischer Menschenrechtsdialog kann so jedenfalls nicht geführt werden, hierfür müsste eine differenzierte Gesamtbilanz der Situation gezogen werden.


Die gesellschaftlichen Realitäten werden zudem an zahlreichen Stellen fehlerhaft beschrieben. Das liegt unter anderem daran, dass dem Antrag eine zu dünne Informationsbasis zugrunde liegt. Rot-grün akzeptiert beim Thema Aserbaidschan bekanntlich nur das, was der eigenen Weltsicht entspricht. Der Antrag ist somit ideologisch gefärbt. SPD und Grüne schenken nur denjenigen Informationsquellen Glauben, die sie in ihrer eigenen Meinung bestätigen. Dabei handelt es sich meist um einzelne Dissidentinnen und Dissidenten, die im Ausland leben oder Vorträge halten.

Natürlich müssen auch radikal-kritische Stimmen bei der Informationsgewinnung Berücksichtigung finden, dies allein reicht allerdings nicht aus. Um sich einen objektiven Eindruck von der komplexen Lage in Aserbaidschan zu verschaffen, muss mit möglichst vielen unterschiedlichen Kräften kommuniziert werden: sowohl mit Vertreterinnen und Vertretern von Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften und der konstruktiv-kritischen Opposition, aber auch mit der amtierenden Regierung und regimekonformen Gruppen. Das ist von grundsätzlicher Bedeutung, nicht nur im Fall Aserbaidschans. Es ist für Fortschritte bei Menschenrechten und Demokratie unerlässlich, insbesondere auch mit denjenigen politischen Entscheidungsträgern zu reden, die die Situation real beeinflussen können, eben weil sie an der Macht sind.

Das Alijew-Regime ist jedenfalls kein monolithischer Block, der nur aus Betonköpfen besteht. Anstelle die Türen für Gespräche zuzuknallen, wie dies Rot-grün macht, müsste mit Aserbaidschan ein offener und kritischer Dialog gesucht werden. Menschenrechte haben eine zivile Logik und können nur durch innergesellschaftliche Konsensbildungsprozesse durchgesetzt werden. Deshalb spricht sich Die Linke auch stets gegen Sanktionen und für Dialog aus. Menschenrechte können nicht von außen aufgepfropft und schon gar nicht mit militärischen Mitteln im Rahmen sogenannter „humanitärer Interventionen“ erzwungen werden. Und dass sich ausgerechnet SPD und Grüne als Anwältinnen der Menschenrechte in Aserbaidschan profilieren wollen, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Wer in seiner gemeinsamen Regierungszeit im eigenen Land mit der Agenda 2010 einen systematischen Raubbau vor allem an den wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechten der Schwachen in der Gesellschaft getrieben hat, der sollte sich besser zurückhalten, andere Länder zu belehren. Rot-grün ist menschenrechtspolitisch genauso unglaubwürdig wie die amtierende Bundesregierung.
Es spricht Bände, wenn Rot-grün allen Ernstes die Ansicht vertritt, dass für eine weitere Annäherung Aserbaidschans an die Europäische Union zunächst Bedingungen diktiert werden könnten. Woher nehmen SPD und Grüne eigentlich die Gewissheit, dass eine Annäherung an die EU für Aserbaidschan überhaupt Priorität habe? Das Land ist ja nicht nur seit 2011 auch offiziell Mitglied der Bewegung blockfreier Staaten, sondern verfolgt vor dem Hintergrund seiner gewachsenen ökonomischen Stärke bereits seit geraumer Zeit eine selbstbewusste, ausbalancierte Außenpolitik. Und angesichts ihres missratenen Krisenmanagements dürfte die EU erheblich an Attraktivität für andere Länder eingebüßt haben. Worin soll für Aserbaidschan der Anreiz liegen, sich der EU weiter anzunähern? Eine Beitrittsperspektive ist nicht vorgesehen und mit Blick auf die Versorgungssicherheit mit Erdöl und Erdgas ist die EU jedenfalls Bittstellerin bei Aserbaidschan und nicht umgekehrt.


Hinter dieser unrealistischen Konditionierung der europäisch-aserbaidschanischen Beziehungen steckt allerdings die altbekannte politische Vorstellung, dass sich andere Länder der EU möglichst bedingungslos unterordnen und haargenau das europäische Demokratiemodell bei sich einführen sollten. Dahinter verbirgt sich nichts anderes als die wilhelminisch-imperiale Maxime von „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“ – nur in einer zeitgemäß mit Menschenrechten garnierten, eurozentrischen Version. Das sind des Kaisers neue Kleider, die imperiale Politik ist allerdings die alte geblieben.


Rot-grün verkennt ebenfalls, dass Demokratisierungsprozesse in der Regel längere Zeiträume beanspruchen. Die post-sowjetischen Transformationsländer sind erst seit etwas mehr als zwanzig Jahren unabhängig. Auch die heutigen west-europäischen Demokratien haben für die Etablierung von demokratischen und menschenrechtlichen Standards wesentlich längere Zeit benötigt. Demokratieentwicklung ist zudem kein geradliniger Prozess. Es kann mitunter auch Rückschläge geben, wie dies aktuell am Beispiel des EU-Mitglieds Ungarn beobachtet werden kann. Deshalb müssen bei der Gesamtbeurteilung der Menschenrechtssituation in Transformationsgesellschaften Erfolge wie Misserfolge gleichermaßen Berücksichtigung finden und auf überprüfbaren Fakten basieren. Die Beschreibung der wirtschaftlichen und sozialen Lage, wonach in Aserbaidschan außerhalb des Öl-Sektors praktisch ganze Produktionszweige brach lägen, hat mit der Realität nichts zu tun. Das Gegenteil ist richtig: Die Volkswirtschaft entwickelt sich sehr dynamisch, gerade auch außerhalb des Energiesektors. Laut Angaben der Weltbank konnte dadurch der Anteil derjenigen, die unter 1,25 Dollar pro Tag zur Verfügung haben, bis zum Jahr 2008 auf 4 Prozent gedrückt werden. Auch der sogenannte GINI-Koeffizient, der die soziale Ungleichheitsverteilung misst, weist einen rückläufigen Trend auf. Die aktuellen Werte dürften vermutlich noch deutlich besser sein, da die Weltbank ihre Daten seit 2008 nicht aktualisiert hat und in den zurückliegenden drei Jahren die staatliche Sozialpolitik nochmals massiv ausgeweitet wurde. Die Armut ist deutlich zurückgegangen und die Masseneinkommen haben zugelegt. Obzwar durchaus weitere Umverteilungsspielräume existieren, hat sich die wirtschaftliche und soziale Situation der Menschen spürbar verbessert.


Anlass zu berechtigter Kritik an Aserbaidschan bietet hingegen die Situation bei bestimmten bürgerlichen und politischen Menschenrechten, insbesondere die Einschränkungen bei der Versammlungs- und Pressefreiheit, die noch nicht ausreichenden demokratischen Standards bei politischen Wahlen und die Defizite bei der Rechtsstaatlichkeit und Unabhängigkeit der Justiz. Korruption ist ebenfalls weit verbreitet. In diesen Bereichen sind zweifellos Verbesserungen vonnöten. Bezeichnenderweise fehlen im rot-grünen Antrag aber Aussagen zum bürgerlichen Recht auf Religionsfreiheit. Aserbaidschan ist eines der wenigen traditionell mehrheitlich muslimisch geprägten Länder, in denen der Bau von neuen Kirchen und Synagogen ermöglicht wird. Die säkulare Identität der aserbaidschanischen Gesellschaft und das friedliche Zusammenleben der unterschiedlichen Religionen konnte trotz des schwierigen geo-politischen Umfelds und der anhaltenden militärischen Besatzung von Teilen des aserbaidschanischen Staatsgebiets durch Armenien aufrecht erhalten werden. Das ist keineswegs selbstverständlich und sollte daher mit Nachdruck gewürdigt werden.


Insgesamt bestehen zwischen dem rot-grünen Antrag und unserem eigenen Antrag gravierende Unterschiede in der inhaltlichen Bewertung und strategischen Ausrichtung. Die rot-grüne Holzhammermethode wird auch in diesem Fall versagen. Deshalb kann Die Linke diesen Antrag nur ablehnen.