Menschenrechte älterer Menschen stärken

Katrin Werner, MdB

Im Jahr 2050 wird jede und jeder dritte Deutsche älter als 60 Jahre sein. Das wird aber nicht nur bei uns und in anderen Ländern des Nordens der Fall sein, sondern gilt weltweit. Seriösen wissenschaftlichen Prognosen zufolge werden im Jahr 2050 weltweit etwa 2 Milliarden Menschen über 60 Jahre alt sein. Heute sind es gerade einmal 810 Millionen. In praktisch einer Generation wird es insgesamt mehr ältere Menschen auf der Erde geben als Kinder unter 14 Jahren.


Für ein würdevolles Leben im Alter müssen die Rechte älterer Menschen gestärkt werden, weil es sich um eine stetig wachsende Gruppe von Menschen handelt, die besonders verletzlich ist. Es ist daher richtig, wenn die SPD in ihrem Antrag fordert, der besonderen Schutzbedürftigkeit von älteren Menschen dahingehend Rechnung zu tragen, dass eine eigene UN-Konvention verabschiedet und ein zuständiger Sonderberichterstatter ernannt werden sollte. Denn was hilft es, wenn eine Konvention vorhanden ist, aber keine entsprechende Kontrolle stattfindet? Die Linke unterstützt beide Forderungen ausdrücklich!


Es überrascht mich nicht, dass die Bundesregierung vehement gegen die Verabschiedung einer UN-Konvention ist. Wer gleich zu Beginn seiner Regierungszeit, wie dies Schwarz-gelb 2009 getan hat, ausgerechnet bei der nationalen Antidiskriminierungsstelle den Rotstift ansetzt, zeigt damit, dass er auch bei den älteren und kranken Menschen die neoliberale Politik sozialer Grausamkeiten durchexerzieren will. Die sozial Schwachen und die besonders verwundbaren Gruppen sind immer die Ersten, die es trifft. Darauf ist bei dieser Bundesregierung immer Verlass gewesen.
Um von der sozialen Kahlschlagpolitik auch in diesem Bereich abzulenken, hat Schwarz-gelb ein Placebo präsentiert: Es ist die „Demografie-Strategie“, die eine Fülle von unverbindlichen, wohlklingenden Absichtserklärungen enthält, ohne dabei konkrete Aktionspläne und Instrumente zu präsentieren. Das kennen wir schon zur Genüge aus anderen Bereichen.


Die Menschenrechtsverletzungen gegenüber älteren Menschen schreien auch bei uns zum Himmel: Es gibt einen akuten Pflegenotstand. In Alters- und Pflegeheimen fehlen examinierte Altenpflegerinnen und Altenpfleger. Stress und Überlastung bestimmen den Arbeitsalltag vieler Beschäftigten, die mit 8,50 EURO pro Stunde abgespeist werden. Niemand sollte in einem solchen verantwortungsvollen Beruf unter 10 EURO pro Stunde arbeiten müssen! Das fehlt im Antrag der SPD, der nur sehr allgemein bessere Arbeitsbedingungen und einen gesetzlichen Mindestlohn für die Beschäftigten fordert, ohne eine konkrete Höhe zu nennen. Die Leidtragenden dieser kaltherzigen, neoliberalen Arbeitsethik sind die alten und pflegebedürftigen Menschen, die zu wenig menschliche Zuwendung erhalten und häufig nicht einmal ausreichend zu trinken bekommen. Ruhigstellungen durch Medikamente, Zwangsernährung mittels Magensonden und Fixierungen an Händen und Füßen sind ebenfalls keine Seltenheiten. Das sind schwere Einschränkungen in das Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Menschen.


Der Großteil der Pflege, etwa zwei Drittel, spielt sich in der Familie ab. Viele Angehörigen kümmern sich aufopferungsvoll um ihre alten und kranken Familienmitglieder, obwohl dies oft nur schwer mit dem Beruf zu vereinbaren ist. Sie benötigen mehr gesellschaftliche Anerkennung und stärkere Unterstützung durch die Politik. Auch das Heimrecht müsste den gesellschaftlichen Realitäten stärker Rechnung tragen. Darauf geht der SPD-Antrag leider überhaupt nicht ein.
Ein heute schon absehbares Problem wird die künftige Altersarmut sein. Durch den von Rot-grün mit der Agenda 2010 eingeführten Niedriglohnsektor drohen vielen heutigen Erwerbstätigen im Alter Minirenten, die keinen menschenwürdigen Lebensabend mehr garantieren. Frauen werden davon besonders betroffen sein, da sie infolge von Kindererziehungszeiten und mehr prekärer Beschäftigung häufiger unterbrochene Erwerbsbiografien aufweisen als Männer und dementsprechend geringere Rentenansprüche erwerben. Hinzu kommt ihr längeres Lebensalter. Bereits jetzt kommen bei den über 80-Jährigen 100 Frauen auf 61 Männer. Daraus lässt sich ableiten: Die künftige Altersarmut wird ebenso wie die Pflegebedürftigkeit vor allem ein weibliches Gesicht tragen.


Das wird auch in anderen Bereichen zu ernsthaften Problemen führen, die der SPD-Antrag vernachlässigt. Wie verhält es sich beispielsweise, wenn aufgrund der Rentenkürzungspolitik der Bundesregierung bei gleichzeitiger Preistreiberei auf dem Wohnungsmarkt die Seniorinnen und Senioren künftig größere Schwierigkeiten haben werden, ihre Mieten zu bezahlen? Der Zugang zu bezahlbarem und angemessen ausgestattetem Wohnraum ist ein Menschenrecht, das auch Älteren zusteht! Und wie steht es um die Finanzierung von altersgerechtem Wohnraum, wenn aufgrund der weiter zunehmenden Lebenserwartung der Menschen auch der Bedarf steigt und gleichzeitig bei der öffentlichen Wohnungsbauförderung Ebbe herrscht, weil die Kommunen klamm bei Kasse sind und die Vorgaben der Schuldenbremse einhalten müssen? Hier muss eindeutig in größeren gesellschaftlichen Zusammenhängen gedacht werden, was die Auswirkungen der neoliberalen Sozialkahlschlagpolitik der letzten zehn Jahre betrifft, die sich vor allem gegen die Schwächsten der Gesellschaft richtet. Wenn diese Entwicklung nicht endlich gestoppt wird, dann wird in Deutschland womöglich schlimmstenfalls Altersarmut sogar bald mit physisch bedrohlicher Ernährungsarmut einhergehen!
Ein weiteres Problem ist die Altersdiskriminierung. Es ist vollkommen inakzeptabel, wenn Menschen aufgrund ihres Alters von sozialer, politischer und kultureller Teilhabe ausgeschlossen werden, indem bei Ehrenämtern, Partei,- Vereins- oder Kirchenmitgliedschaften von vornherein Altersgrenzen existieren oder eingeführt werden sollen oder sie trotz guter Gesundheit zu Opfern fremdbestimmter Vormundschaft gemacht werden. Im neoliberalen Gesellschaftsentwurf werden ältere Menschen primär zu einem „Kostenfaktor auf zwei Beinen“ degradiert, denen im Rahmen eines „aktivierenden Sozialstaats“ bestenfalls Almosen zustehen. Die Linke stellt sich dieser menschenverachtenden Denklogik entgegen: Für uns ist jedes Menschenleben von materiell unermesslichem Wert! Ältere Menschen sind eine Bereicherung für die Gesellschaft: Gerade wegen ihrer Lebenserfahrung können sie wichtiges Wissen an jüngere Generationen weitergeben, sich um die Mit-Erziehung ihrer Enkelkinder kümmern und häufig auch lange Zeit noch selbst aktiv ihre Interessen und Hobbys bestreiten. Ältere Menschen sind auch das historische Gedächtnis einer Gesellschaft. Wo stünden wir heute als Demokratie und als Gesellschaft ohne ihre persönlichen Erfahrungen aus der Zeit des Hitlerfaschismus, des Zweiten Weltkriegs und der jahrzehntelangen Lebensrealitäten in zwei unterschiedlichen politischen Systemen als Folge der Teilung Deutschlands? Darauf können und dürfen wir als Gesellschaft um unserer selbst willen nicht verzichten!


Und die älteren Menschen benötigen bessere gesellschaftliche Rahmenbedingungen, um in der Mitte unserer Gesellschaft in Würde alt werden zu können. Das ist die Aufgabe der Politik. Der SPD-Antrag liefert hierfür einige wichtige Anregungen, er bleibt allerdings in etlichen Punkten zu oberflächlich, auch weil die SPD innerlich immer noch nicht aus ihrer neoliberalen Sackgasse herausgekommen ist, in die sich unter der Kanzlerschaft Gerhard Schröders selbst hineinmanövriert hat. Aus diesem Grund kann sich Die Linke bei dem Antrag auch nur enthalten, betrachtet ihn allerdings als einen wichtigen Impuls für die gesellschaftspolitische Debatte, die bei diesem Thema keinen Zeitaufschub mehr duldet.