Menschenrechte und Demokratie in den Staaten des Südkaukasus fördern

Katrin Werner, Protokollrede Deutscher Bundestag

 

Sehr geehrte/r Frau/Herr Präsident/in, sehr geehrte Damen und Herren,

der jüngste Folterskandal in georgischen Gefängnissen unterstreicht die Aktualität unseres Antrags. Der Menschenrechtslage in den Staaten des Südkaukasus muss dringend größere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Die Bilder und Videos der misshandelten, gefolterten, vergewaltigten und gedemütigten Häftlinge haben mich tief erschüttert. Der Folterskandal zeigt exemplarisch, dass die jahrelangen Vorschusslorbeeren des Westens auf die vermeintlichen Demokratiefortschritte in Georgien offenbar verfrüht und politisch unzutreffend gewesen sind. Vor allem die deutsche Bundesregierung hat die Menschenrechtsbilanz und den neo-autoritären Politikstil unter Präsident Saakaschwili stets beschönigt, da Georgien der engste Partner der USA, NATO und EU in der Region ist. Das kennen wir schon zur Genüge mit Blick auf die Menschenrechtsdefizite im eigenen Land und in anderen Ländern mit pro-westlich orientierten, autoritären Regimen. Wer sich gegenüber dem Westen kooperativ verhält, wird hofiert und wer sich dazu eine in Widerspruch stehende, eigenständige Politik leistet, wird häufig sanktioniert. Die LINKE wird nicht müde werden, die Bundesregierung aufzufordern: Beenden sie endlich ihre Politik der Doppelstandards bei Menschenrechten!

Immerhin, und dies stimmt mich vorsichtig optimistisch, ist die Aufarbeitung des Folterskandals in Georgien selbst in vollem Gang. Mehrere Minister mussten bereits ihren Hut nehmen und ein Großteil der Gefängnisleitungen und des Wachpersonals soll ausgetauscht werden. Zumindest scheinen die Zeiten, in denen ein solcher Skandal ohne nennenswerte Folgen blieb, endgültig vorüber zu sein. Hierzu gehört auch der von den georgischen Wählerinnen und Wählern herbeigeführte politische Wechsel bei den Parlamentswahlen am 1. Oktober 2012. Sofern der friedliche Machtwechsel gelingt, kann dies als starkes Signal für die Demokratie mit überregionaler Bedeutung verstanden werden. Auch wenn zuletzt der Folterskandal viel Wasser auf die Mühlen des siegreichen Oppositionsbündnisses „Georgischer Traum“ gelenkt hat, bleibt die soziale Frage das größte innenpolitische Problem Georgiens. Über die Hälfte der georgischen Bevölkerung lebt seit der Unabhängigkeit vor über zwanzig Jahren in Armut.

Das bringt mich zu einem wichtigen Punkt in unserem Antrag. Wie in der Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses steht, meinten einige Kolleginnen und Kollegen aus anderen Fraktionen, wir würden in unserem Antrag die WSK-Rechte einseitig in den Vordergrund stellen. Dazu kann ich nur sagen: Entweder haben sie unseren Antrag nicht richtig gelesen oder aber nicht richtig verstanden. Die LINKE fordert in dem Antrag die Bundesregierung wörtlich auf, „in der Menschenrechts-, Entwicklungs- und Außenpolitik Deutschlands grundsätzlich den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten den GLEICHEN Stellenwert einzuräumen wie den bürgerlichen und politischen Menschenrechten“. Von einer Besserstellung der WSK-Rechte gegenüber den bürgerlichen und politischen Rechten kann folglich keine Rede sein. Die jeweiligen Rechte ergänzen sich vielmehr gegenseitig und hängen voneinander ab.

Gerade deshalb müssen aber die Aktionspläne der EU-Nachbarschaftspolitik mit den Südkaukasusstaaten dringend ergänzt werden, weil sie bislang die wirtschaftlichen und sozialen Rechte stark vernachlässigen und sich vornehmlich auf gute Regierungsführung, Korruptionsbekämpfung und neoliberalen Wirtschaftsumbau konzentrieren. Es ist jedoch in diesen Ländern, vor allem in Georgien und Armenien, eine stärkere staatliche Sozialpolitik erforderlich, um die wirtschaftliche und soziale Situation der Bevölkerungsmehrheit zu stabilisieren und zu verbessern. Wenn sie dies ablehnen, dokumentieren sie damit nur, dass sie an der Ideologie des ungehemmten Marktradikalismus festhalten wollen und dass ihnen die Lebensbedingungen der Bevölkerung egal sind. Das sollten sie dann an dieser Stelle auch ehrlicherweise zugeben!

Ähnlich absurd ist die Behauptung, wir würden die Situation bei den bürgerlichen und politischen Menschenrechten in Aserbaidschan schönreden. In unserem Antrag steht unmissverständlich, dass in allen drei Südkaukasusrepubliken jegliche Formen repressiver Gewaltausübung durch die dortigen Regierungen unterbleiben sollen, freie und faire Wahlen durchgeführt und die Versammlungs-, Meinungs-, Medien- und Pressefreiheit uneingeschränkt garantiert werden müssen. Genauso müssen selbstverständlich in allen drei Ländern umgehend alle gewaltlosen politischen Gefangenen freigelassen werden! Aserbaidschan bildet dabei keine Ausnahme.

Die Angaben darüber, wie viele politische Gefangene es gibt und nach welchen Kriterien jemand als ein politischer Gefangener gilt, müssen aber stimmen. Ich bedauere es sehr, dass der Europarat in dieser Frage zutiefst gespalten ist. Dass es bei der Zahl von politischen Gefangenen erhebliche Unterschiede zwischen den drei Ländern gibt, ist eine Tatsache, die von internationalen Menschenrechtsorganisationen bestätigt wird. Menschenrechtsverletzungen und politische Strafjustiz gibt es auch in christlichen Ländern.

Ein wichtiger Grund für ausbleibende Fortschritte bei Menschenrechten und Demokratie sind die schwelenden Konflikte in der Südkaukasusregion. Sie dienen den dortigen Regierungen häufig als Rechtfertigung dafür, dass die Verteidigungs- und Abwehrbereitschaft gegen äußere Gegner zunächst wichtiger sei als die Demokratieentwicklung in den Staaten selbst. Das Gegenteil dessen wäre aber richtig: Fortschritte bei Demokratie und Menschenrechten würden die Vertrauensbildung zwischen den verfeindeten Konfliktparteien fördern und die Erfolgsaussichten für friedliche Lösungen der ethno-territorialen Konflikte erhöhen. Die innerstaatlichen Konflikte in Georgien um die abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien sowie der zwischenstaatliche Konflikt Armeniens und Aserbaidschans um die Region Berg-Karabach können nur nach den völkerrechtlichen Prinzipien der Gewaltfreiheit, der territorialen Integrität, der Staatensouveränität und dem inneren Selbstbestimmungsrecht von Minderheiten beigelegt werden. Das Selbstbestimmungsrecht ist nicht gleichbedeutend mit einem Anspruch auf einen eigenen Staat. Von den Konfliktparteien ist zu verlangen, dass sie alles unterlassen, was diesbezügliche Spannungen unter ihnen anheizt und Vertrauen zerstört. Die Glorifizierung von Mördern als Nationalhelden und die Tötung von Zivilisten durch Heckenschützen, darunter selbst minderjährige Kinder, sind klarer Ausdruck von fortbestehendem Feinddenken, das Versöhnungsfortschritte und Friedenslösungen massiv erschwert.

Die LINKE fordert die Bundesregierung auf, sich für eine Wiederbelebung des Friedensprozesses im Südkaukasus einzusetzen und hierfür in den verantwortlichen Gremien wie der Minsker Gruppe der OSZE deutlich aktiver mitzuarbeiten und zu diesem Zweck auch enger mit Russland zu kooperieren. Zivile Konfliktlösungen wären für die Situation der Menschen und die Demokratieentwicklung im Südkaukasus weitaus wichtiger als neue Freihandelsabkommen mit der EU, von denen nur europäische Großkonzerne und die politischen Eliten profitieren. Aus diesem Grund werben wir um Zustimmung zu unserem Antrag und lehnen die Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses ab. Vielen Dank.