Gesetze und Praktiken der Herausnahme von Kindern aus ihren Familien

Gesetze und Praktiken der Herausnahme von Kindern aus ihren Familien in den Mitgliedsstaaten des Europarats

Katrin Werner, MdB

Parlamentarische Versammlung des Europarates 2. Teilsitzung der Sitzungsperiode 2015
Rede zum Tagesordnungspunkt 15: Soziale Dienste in Europa: Gesetze und Praktiken der Herausnahme von Kindern aus ihren Familien in den Mitgliedstaaten des Europarats (Dok. 13730)

Sehr geehrte Frau Präsidentin (Sehr geehrter Herr Präsident),
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,


danke an die Berichterstatterin auch im Namen meiner Fraktion, der Europäischen Linken, für Ihren Bericht und Ihre Analyse. Wir stimmen in vielen Punkten mit Ihnen überein.
Kinder dürfen nicht gegen ihren Willen aus ihren Familien heraus genommen werden. Ist dies der Fall, so müssen wir sie schützen.
Kinder und Jugendliche haben Rechte!
Zu ihren Rechten zählt das Recht auf Bildung, das Recht auf Betreuung und Versorgung, das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung, das Recht nicht arbeiten zu müssen, das Recht als Kind mit Behinderung mit anderen Kindern gleichgestellt zu werden und das Recht auf gesellschaftliche Mitbestimmung.
In Deutschland wiesen im Jahr 2012 zwei von drei Kindern, bei denen eine Kindeswohlgefährdung vorlag, Anzeichen der Vernachlässigung auf. Dies sind erschreckende Zahlen für eines der reichsten Länder Europas und macht eines sehr deutlich: Wir brauchen in den Mitgliedsstaaten des Europarates einen modernen Kinder- und Jugendschutz. Gesetze, Verordnungen und Verfahren die das Interesse des Kindes bei einer Kindeswohlgefährdung in den Mittelpunkt stellen, sind unerlässlich. Wie wir alle wissen, ist das ein hoch sensibles Thema. Alle kennen wir die zwei Seiten der Medaille.
Wir brauchen jedoch vor allem präventive Maßnahmen, die der Kindeswohlgefährdungen vorbeugen!
Die Ursachen körperlicher, kognitiver, erzieherischer und emotionaler Vernachlässigung finden wir  häufig eben nicht allein im Elternhaus. Wir finden sie in den gesellschaftlichen Strukturen. Wir müssen  unterscheiden zwischen Verbrechen gegen Kinder, auf die wir mit individueller Strafverfolgung reagieren und der Aufgabe zur Verbesserung des Kinderschutzes durch Prävention.
Wir dürfen Eltern, die sich in einer schlechten ökonomischen Situation befinden, nicht unter einen Generalverdacht der Vernachlässigung stellen. Stattdessen gilt es ihnen finanziell unter die Arme zu greifen und die notwendigen Beratungs- und Unterstützungsangebote barrierefrei bereitzustellen. Das gesicherte Aufwachsen von Kindern muss unabhängig von der ökonomischen Situation der Eltern garantiert sein. Eine Herausnahme von Kindern aus ihren Familien aufgrund der finanziellen Lage der Eltern sollte von den Mitgliedsstaaten des Europarates verboten sein.
Eine gute Betreuung, Erziehung und Bildung von Kindern muss durch die Gesellschaft sichergestellt werden. Dies ist nur durch bedarfsdeckende Sozialleistungen sowie einer zuverlässigen und beitragsfreien Infrastruktur zu schaffen. Kinderarmut ist ein großes Problem und muss aktiv bekämpft werden.
Der Schutz von Kindern erfolgt am besten über die Stärkung der Orte, an denen sich Kinder aufhalten. Dazu zählen neben dem Elternhaus Kindertagesstätten und Schulen, aber auch außerschulische Kinder- und Jugendarbeit. Hier muss eine vorbeugende Politik ansetzen. Die Verbesserung der Aus- und Weiterbildung von pädagogischen Fachkräften und der Zugang zu frühkindlicher Erziehung ist dabei zentral.
Der Ausbau von präventiven Maßnahmen ist wichtig. Aber auch die Möglichkeiten der Jungendämter, KinderärztInnen und anderen Betreuungspersonen müssen im konkreten Verdachtsfall der Kindeswohlgefährdung ausgebaut werden. Dazu ist es besonders wichtig, dass ausreichend pädagogische Fachkräfte zur Verfügung stehen. Diese müssen zudem angemessen geschult sein. Die Entscheidung zur Herausnahme von Kindern aus ihren Familien darf in keinem Fall nur durch eine einzige Person erfolgen. Hier muss ein Team von geschulten pädagogischen Fachkräften eingesetzt werden. Die Trennung des Kindes von seiner Familie darf zudem nicht ohne eine richterliche Entscheidung erfolgen, was auch eine dementsprechende Ausbildung der Richterinnen und Richter voraus setzt.
Durch den Ausbau dieser vorbeugenden Maßnahmen kann in vielen Fällen die Kindeswohlgefährdung und damit eine Herausnahme der Kinder aus ihren Familien verhindert werden. Das sollte das Ziel eines modernen Kinder- und Jugendschutzes sein.
Kinder haben Rechte. Sie sollten endlich überall verfassungsrechtlich verankert und umgesetzt werden!