Katrin Werner, DIE LINKE: Geldleistungen alleine reichen nicht!

Rede zur vierten Änderung des Conterganstiftungsgesetzes

Katrin Werner, MdB
Behindertenpolitik Katrin Werner

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Wir beraten heute abschließend über den Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes. Ich möchte mit einem Zitat beginnen:

Der Conterganskandal ist einer der größten Gesundheitsskandale in Deutschland und hatte Auswirkungen auch auf viele andere Länder in der Europäischen Union. Ich will hier vor allem an die zahlreichen Opfer erinnern, die jetzt meist in den 50er-Jahren sind.

Ein Stück weiter heißt es:

Viele von ihnen wurden nach mühevollem und jahrelangem Kampf entschädigt. Andere haben bis heute nur wenig Unterstützung erfahren, und gerade diese Opfer dürfen wir nicht vergessen.

(Beifall im ganzen Hause)

Es steht außer Frage, dass mein Heimatland Deutschland bei der Aufarbeitung des Skandals eine nicht ganz rühmliche Rolle gespielt hat und daher auch eine Verantwortung mitträgt.

Dieses Zitat stammt aus der Rede, die Ihre Kollegin Susanne Melior, meine Damen und Herren von der SPD, gestern Abend im Europäischen Parlament gehalten hat. Hier ist Europa wieder ein Stück weiter als wir in Deutschland.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Natürlich haben wir große Fortschritte erreicht, zum Beispiel mit der von den Betroffenen geforderten Pauschalisierung. Aber dabei wurden andere Fragen vergessen, zum Beispiel die Fragen nach den Hinterbliebenen und der Höhe der Pauschalisierung. Die nun festgelegten Beträge reichen zum Teil nicht für einen auskömmlichen Ausgleich aus. Wenn man sich etwas nicht leisten kann, braucht man eine Kapitalisierung. Angesichts des Alters der Betroffenen, die früher Kinder waren und heute an die 50 oder älter sind, stellt sich die Frage, ob sie überhaupt noch Kredite aufnehmen können. All diese Fragen sind nicht beantwortet.

Angesichts der Tatsache, dass die Betroffenen am Anfang des Skandals jahrelang kämpfen mussten, ist die Einsetzung einer Historikerkommission notwendig, die diesen Skandal richtig aufarbeitet.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich vermute, dass viele von Ihnen, die sich mit diesem Thema befassen, im September den Film Der geheime Deal - Die dunkle Geschichte des Contergan-Skandals auf WDR gesehen haben. Wer den Film gesehen hat, weiß, dass noch viele Fragen offen sind. Diese sollten schleunigst beantwortet werden. Bevor man aber eine Historikerkommission einsetzt - natürlich unter Beteiligung der Betroffenen -, sollte nicht die Aufarbeitung durch eine Landesregierung, sondern eine Entschuldigung dieses Hauses an erster Stelle stehen.

(Beifall des Abg. Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE))

Ja, der Änderungsantrag hat viel vorangebracht, und auch die Tatsache, dass die Strukturfrage getrennt behandelt wird, hat viel geändert. Wir werden uns trotzdem enthalten, weil ich glaube, dass wir an den Anfang zurückgehen müssen, um zu verstehen, woher diese geballte Ladung an Frust kommt. Erst dann kann man verstehen, warum die Arbeitsweise und die Struktur das Problem sind. Ich finde, die Strukturfrage ist nicht ganz herausgelöst worden.

Wir haben zwei Entschließungsanträge eingebracht. In einem dieser Anträge gehen wir auf die Struktur ein und fordern, dass Mediatoren eingesetzt werden, um den Prozess voranzubringen. Man muss sich schon mit der Frage auseinandersetzen, wem die Stiftung gehört. Die Betroffenen haben das Gefühl, dass das ihre Stiftung ist. Wenn man auf die Geschichte zurückblickt, dann sieht man, dass sich Eltern heute teilweise Vorwürfe machen, dass sie diesen Deal eingegangen sind. Insofern muss man Verständnis für den Wunsch haben, dass diese Stiftung den Betroffenen gehören soll. Wir als Vertreter von Parteien sind gewohnt, dass einem dann etwas gehört, wenn man die Mehrheit hat. Wir müssen Wege finden, wie man die Betroffenen mitnehmen und ihnen diese Mehrheit verschaffen kann.

Um noch einmal auf das Europäische Parlament zurückzukommen: Die Frage hat auch eine internationale Komponente, sie ist auch europäisch. Daher fordern wir in unserem Antrag die Erstellung einer wissenschaftlichen Studie. Darin soll untersucht werden, wie man in anderen europäischen Ländern mit den Opfern tatsächlich umgeht. Immer wieder hören wir von einem jahrelangen Kampf der Menschen, die jahrelang nicht wahrgenommen werden. Sie befinden sich teilweise in einem verbitterten Modus, den man aber auch verstehen muss.

Wir haben jetzt einen Schritt nach vorne gemacht, dennoch enthalten wir uns, weil uns einige Aspekte fehlen. Aber mein Appell ist, den weiteren Schritt nicht mit einer Zweijahresstudie noch weiter in die Länge zu ziehen, sondern schnell eine solche Kommission einzurichten und schnell Gespräche des Bundesgesundheitsministeriums anzuberaumen. Im Europäischen Parlament wurde gestern gesagt, dass man einen runden Tisch mit dem Gesundheitsminister anstrebt. Da kann Deutschland eine Vorreiterrolle einnehmen und dieses Gespräch vorantreiben. Damit kann Deutschland ein Stück Aufarbeitung leisten.

Danke.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)