Schutz vor Folter in Deutschland stärken

Katrin Werner, MdB

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Protokollrede im Deutschen Bundestag am 14. März 2013, TOP 23


Das Folterverbot ist in allen zentralen Menschenrechtsverträgen verankert: in Artikel 5 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, in Artikel 7 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte sowie in Artikel 3 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Darüber hinaus haben gegenwärtig 146 Staaten auch die UN-Antifolterkonvention ratifiziert. Damit sind ausreichende vertragsvölkerrechtliche Grundlagen vorhanden, um die Geißel der Folter endgültig aus der Welt zu schaffen. Durch die langjährige Anwendungspraxis ist das Folterverbot zudem inzwischen als Völkergewohnheitsrecht zu interpretieren.

Es ist einerseits ein beachtlicher Erfolg, wenn mittlerweile offenbar selbst zahlreiche autoritäre Regime meinen, das Folterverbot als Verhaltenskodex akzeptieren zu müssen. Gleichwohl gilt auch hier: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!


Es ist unbestreitbar, dass in zahlreichen Unterzeichnerstaaten zum Teil massiv bzw. systematisch gegen das Folterverbot verstoßen wird: Kasachstan, Belarus, Sri Lanka und Saudi-Arabien sind einige solcher Fälle. Jedoch müssen eben auch die USA mit zu diesem Kreis gezählt werden wegen ihrer bekannt gewordenen „Verhörmethode“ des „Waterboarding“ und den anderen schrecklichen Folterpraktiken, die vor allem gegenüber Terrorverdächtigen in Guantanamo systematisch praktiziert wurden.


Das Beispiel Guantanamo lehrt zudem, dass auch Demokratien nicht per se vor Rückfällen in anti-humanistische Zustände gefeit sind, auch wenn dies bei Diktaturen systembedingt häufiger der Fall ist. Wenn die Demokratie die Auseinandersetzung mit der Diktatur aber für sich entscheiden will, muss sie sich als das humanere, politisch freiere und sozial gerechtere Gesellschaftssystem behaupten. Dies verlangt von allen Demokratien eine Vorbildrolle bei der Einhaltung der Menschenrechte und hohe Standards zu deren Umsetzung und Anwendung in der gesellschaftlichen Alltagsrealität.


Leider muss bei dem wichtigen Thema Folterprävention festgestellt werden, dass Deutschland seine Vorbildfunktion als Demokratie geradezu sträflich vernachlässigt. Es gibt zwar formal seit Ende 2008 eine Bundessstelle zur Verhütung von Folter mit Sitz in Wiesbaden, die den gesetzlichen Auftrag hat, Orte der Freiheitsentziehung aufzusuchen und auf mögliche Missstände zu untersuchen. Bereits in ihrem ersten Jahresbericht 2009/2010 hat die Bundesstelle jedoch darauf hingewiesen, dass sie wegen unzureichender personeller und finanzieller Ressourcen ihren gesetzlichen Auftrag bestenfalls „nur ansatzweise“ erfüllen könne. Der Jahresbericht 2010/2011 knüpft hieran nahtlos an. Die Bundesstelle ist allein für 360 Gewahrsamseinrichtungen zuständig. Ihr bisheriges Budget in Höhe von 100.000 EURO ermöglicht lediglich die Anstellung von maximal drei wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Vollzeit sowie einer Fachangestellten für Bürokommunikation. Zusammen mit den jeweiligen Länderkommissionen müssten sogar mehrere tausend Gewahrsamseinrichtungen in Deutschland überwacht werden, was mit dem gegenwärtigen Personaltableau faktisch unmöglich ist. Unser Nachbar Frankreich gibt übrigens bei einer deutlich geringeren Gesamtbevölkerungszahl in diesem Bereich jährlich rund 3,3 Millionen Euro aus!


Das ist nicht nur Ausdruck der typischen Placebo-Politik von Schwarz-gelb, die wir beim Thema Menschenrechte schon zur Genüge kennen. Die Vernachlässigung der Folterprävention in Deutschland ist vielmehr ein handfester politischer Skandal, weil die Bundesregierung damit bewusst riskiert, dass schlimmstenfalls schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen in bundesdeutschen Gewahrsamseinrichtungen unentdeckt bleiben und die Betroffenen unter menschenrechtslosen Umständen leben müssen. Hierbei hilft letztlich nur die regelmäßige Kontrolle von außen und durch unabhängige Dritte, um zu verhindern, dass sich menschenrechtswidrige Praktiken dauerhaft etablieren können. Genau darum geht es bei der Folterprävention.


Es entspricht einer schallenden Ohrfeige für die Bundesregierung, dass der UN-Ausschuss gegen Folter in seinen abschließenden Bemerkungen vom 12. Dezember 2011 zum Fünften Staatenbericht Deutschlands eben diese Defizite gerügt hat. Wer die UN-Antifolterkonvention ernst nimmt, kann diese Kritik nur begrüßen. Solange die Bundesregierung nämlich immer nur bestimmte Länder wie vor allem Russland, China, Vietnam, Kuba, Venezuela, Aserbaidschan, Serbien, Belarus oder die Ukraine wegen ihrer Menschenrechtsdefizite durch den Kakao zieht, aber zu Menschenrechtsverletzungen in befreundeten, westlichen bzw. pro-westlich orientierten Ländern vornehm schweigt und ihre eigenen Hausaufgaben unerledigt lässt, ist sie vollkommen unglaubwürdig. Dies gilt ebenfalls für die anderen Oppositionsfraktionen.

Wie dem aktuellen SPIEGEL zu entnehmen ist, betätigen sich schon seit geraumer Zeit prominente Sozialdemokraten als eifrige Lobbyisten für das Nasarbajew-Regime in Kasachstan, in dessen Gefängnissen Folter auf der Tagesordnung steht und das friedliche Gewerkschaftsproteste zusammenschießen lässt. Wie will die SPD eigentlich die Defizite bei der Folterprävention in Deutschland kritisieren, wenn sie gleichzeitig einem ausländischen autoritären Folterregime dabei hilft, sein Prestige im Westen aufzupolieren? Der SPIEGEL bezeichnet Kasachstan sogar als die „Lieblingsautokratie“ der Sozialdemokratie. So sieht also die Doppelmoral der SPD aus: Menschenrechtsverstöße in Ländern mit unabhängigen politischen Führungen werden skandalisiert und diejenigen in pro-westlichen kooperationswilligen Diktaturen dürfen sogar noch schlimmer sein, ohne dass aus der SPD auch nur ein Laut ertönt! Für DIE LINKE ist klar: Menschenrechtsverstöße müssen überall und gegenüber jeder Regierung thematisiert werden, die hierfür die politische Verantwortung trägt – allerdings ohne dabei in der Pose des Oberlehrers und Moralapostels aufzutreten, die uns ohnehin niemand abnimmt. Die praktische Instrumentalisierung der Menschenrechte und die Verwendung von doppelten Standards beruhen immer auf politischem Kalkül. Dafür gibt es von uns keine Unterstützung!


Der aktuelle Antrag der Grünen weist dagegen zu Recht auf die Missstände bei der Folterprävention in Deutschland hin. Er ist im Analyse- wie im Forderungsteil richtig. Ich will an dieser Stelle auch erwähnen, dass sich die Grünen und DIE LINKE in den zurückliegenden Haushaltsberatungen im Menschenrechtsausschuss wechselseitig bei ihren Änderungsanträgen zu Mittelerhöhungen für die nationale Antifolterstelle unterstützt haben. Dies zeigt, dass trotz fortbestehender politischer Unterschiede zwischen den beiden genannten Oppositionsfraktionen dennoch Sachentscheidungen zugunsten der Betroffenen möglich sind. Parteitaktische Abgrenzungsrituale sind beim Thema Menschenrechte völlig fehl am Platz. Und selbstverständlich stimmt vor diesem Hintergrund DIE LINKE auch dem vorliegenden Antrag der Grünen zu.