Rede vor der Schwerbehindertenvertretung (SBV) der Stadt Trier

Katrin Werner, MdB
Behindertenpolitik Katrin Werner


Meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich freue mich sehr, dass ich heute vor Ihnen zu Rechtsänderungen im Schwerbehindertenrecht sprechen darf.

Meine Ausführungen möchte ich mit wenigen Eckdaten zur Lage von Menschen mit Behinderungen auf dem ersten Arbeitsmarkt beginnen:

Vor wenigen Wochen hat die Bundesregierung auf die Große Anfrage meiner Fraktion zur Umsetzung des Inklusionsgebotes in Deutschland geantwortet. In 241 Fragen haben wir uns über Entwicklungen in vielen verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen erkundigt. Unter anderem über die Situation von Menschen mit Behinderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Es ist erschreckend: Im Jahr 2005 waren durchschnittlich 179.990 Menschen mit einer Schwerbehinderung arbeitslos. 2014 waren es 181.110. In den letzten zehn Jahren hat sich demnach für Menschen mit Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt faktisch nichts verbessert!
Darüber hinaus verdeutlicht das Inklusionsbarometer Arbeit der Aktion Mensch, dass die Quote der arbeitslosen Menschen mit Behinderungen mit 14 Prozent mehr als doppelt so hoch lag wie die allgemeine Arbeitslosenquote.
Aber nicht nur die Arbeitslosenzahlen von Menschen mit Behinderungen sind erschreckend, bei den Arbeitsbedingungen sieht es nicht besser aus. In einer Studie von Verdi mit dem Titel „Arbeitsbedingungen für Menschen mit Behinderungen“ aus dem Jahr 2014 bewerten Beschäftigte mit Behinderungen die Qualität ihrer Arbeitsbedingungen mit einem Durchschnittswert von 58 von 100 Punkten. Das entspricht einem Wert im unteren Mittelfeld der Skala. Hier ist noch einige Luft nach oben und zwar erheblich - das ist offensichtlich.

Meine Damen und Herren, der allgemeine Arbeitsmarkt in Deutschland ist bei Weitem nicht inklusiv. Es besteht dringender Handlungsbedarf und es muss sich einiges ändern, das machen diese Zahlen sehr deutlich.

Dass sich auch auf dem Arbeitsmarkt in Trier etwas ändern muss, ist ebenso klar. Menschen mit Behinderungen, die in Werkstätten arbeiten, werden noch immer deutlich unter der Mindestlohngrenze bezahlt, statt in regulären Arbeitsverhältnissen, wie es etwa im Hotel Vinum der Fall ist - einem mittlerweile ausgezeichneten integrativen Unternehmen. Doch es ist durch die Erarbeitung eines Aktionsplans Inklusion unter öffentlicher Beteiligung einiges im Gange. Mehrere Arbeitsgruppen formulieren wichtige Leitlinien und konkrete Maßnahmen für ein inklusives Trier. Die Arbeitsgruppe „Arbeit & Personalentwicklung“ hat bereits jetzt wichtige Impulse gesetzt, die wir beherzigen müssen: Dazu zählen verstärkte Öffentlichkeitsarbeit in Richtung Arbeitgeber, die keine Menschen mit Behinderungen beschäftigen, eine ausnahmslose Barrierefreiheit am Arbeitsplatz, eine Schulung der Ausbilder zum Thema Inklusion und dem Umgang mit Menschen mit Schwerbehinderung sowie der Ausbau der Personalförderung.

Damit auch diese Forderungen tatsächlich verwirklicht werden, sind die Schwerbehindertenvertretungen unverzichtbar. Ihre Arbeit und Leistung auf dem Weg hin zu einem inklusiven allgemeinen Arbeitsmarkt in Deutschland ist enorm wichtig. Sie bringen Expertise in die Betriebe, helfen bei der barrierefreien Ausgestaltung der Arbeitsplätze, stehen Beschäftigten mit Behinderungen und von Behinderungen bedrohten Menschen zur Seite - beraten und unterstützen sie. Doch sie könnten noch viel mehr leisten, wenn die Politik die notwendigen Rahmenbedingungen schafft. Wir wären schon einen bedeutenden Schritt weiter, wenn die Arbeit der Schwerbehindertenvertretungen gestärkt und aufgewertet werden würden. Nach Ansicht meiner Fraktion, der LINKEN im Bundestag, müssen wir dies auf zwei Wegen verwirklichen: Wir müssen die Schwerbehindertenvertretungen in ihrer alltäglichen Arbeit stärken und wir müssen ihre Mitbestimmungsrechte deutlich ausweiten.

Die Schwerbehindertenvertretungen brauchen auf der einen Seite mehr Zeit und Ressourcen um gezielt und intensiv an der Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Menschen mit Behinderungen arbeiten zu können. Das ist vor allem über die Änderung der Freistellungsgrenze zu schaffen.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund schlägt mit anderen großen Sozialverbänden vor, die Freistellung schon ab 100 statt bisher 200 schwerbehinderten Beschäftigten zu gewährleisten. Das würde die Schwerbehindertenvertretungen in der alltäglichen Praxis erheblich entlasten. Dadurch entstünden neue Spiel- und Freiräume, die es ermöglichen würden intensiver und gezielter an der Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Menschen mit Behinderungen zu arbeiten.
Auch eine erleichterte Heranziehung von StellvertreterInnen könnte eine bedeutende Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Schwerbehindertenvertretungen bedeuten.
Das allein reicht jedoch nicht aus. Wir brauchen auch bessere Schulungsansprüche, die auch für die StellvertreterInnen gelten müssen.

Kürzlich erhielt ich ein Schreiben von einer Schwerbehindertenvertrauensperson, die in einem großen Unternehmen mit über 5000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beschäftigt ist. 170 Menschen mit einer Schwerbehinderung arbeiten in diesem Unternehmen. Das sind weniger als die erforderlichen 200, was bedeutet, dass die Vertrauensperson nicht auf Wunsch von ihrer Arbeit freigestellt wird. Aus verschiedenen Gründen haben die einzelnen Stellvertreterinnen und Stellvertreter ihr Ehrenamt niedergelegt.
Die Schwerbehindertenvertrauensperson beschrieb ihre Situation als extrem belastend. Sie würde gerne mehr zur inklusiven Gestaltung des Arbeitsumfeldes beitragen, doch es fehlt schlicht die Zeit dazu. Eine Änderung der Freistellungsgrenze würde in diesem Fall eine enorme Entlastung bedeuten. Das ist dringend notwendig, denn wir sollten motivierte Menschen, die mehr zur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen beitragen möchten, nicht durch starre Regeln davon abhalten!

Meine Damen und Herren, mehr Zeit und Ressourcen für die Schwerbehindertenvertretungen reichen nicht aus. Auf der anderen Seite müssen die Mitbestimmungsrechte der Schwerbehindertenvertretungen gestärkt werden. Zwar müssen sie heute schon nach geltendem Recht angehört werden, wenn es um Personalmaßnahmen geht, die schwerbehinderte Menschen betreffen, doch in der Realität geschieht dies häufig nicht. Hier brauchen wir verbindlichere Regeln, die Entscheidungen aussetzen, wenn die Schwerbehindertenvertretungen übergangen wurden. Bei personellen Fragen, der Ausgestaltung der Arbeitsplätze und den Arbeitsbedingungen müssen die Schwerbehindertenvertretungen grundsätzlich miteinbezogen werden.
Auch bei den Integrationsvereinbarungen brauchen wir verbindliche Regelungen und im Zweifelsfall Sanktionen, wenn sie von Unternehmensseite nicht eingehalten werden. Die Vereinbarungen, beispielsweise zur Eingliederung von schwerbehinderten Menschen in das Unternehmen, sind schön und gut. Doch sie bewirken nicht viel, wenn die Schwerbehindertenvertretungen keine Druckmittel haben, die ihnen helfen die Vereinbarungen tatsächlich durchsetzen zu können.

Laut der Studie von Verdi zu Arbeitsbedingungen von Menschen mit Behinderungen leisten die Schwerbehindertenvertretungen bereits jetzt gute Arbeit. Beispielsweise sind in Betrieben, in denen eine Schwerbehindertenvertretung tätig ist 58% der Arbeitsplätze behindertengerecht ausgestattet. In Betrieben ohne SBV sind das nur 42% der Arbeitsplätze. Diese gute Arbeit können und müssen wir weiter stärken.

Vor wenigen Wochen hat die Bunderegierung im Ausschuss Arbeit und Soziales über ihre Pläne zur Stärkung der Schwerbehindertenvertretungen berichtet. Es war ernüchternd, da sie nichts Konkretes zu sagen hatte. Nicht einmal über die Zeitplanung.

Meine Damen und Herren, allein bei den Schwerbehindertenvertretungen können wir nicht stehen bleiben. Es muss insgesamt darum gehen, die Mitbestimmungsrechte von Menschen mit Behinderungen zu erweitern. Dies gilt für die Arbeit von Betriebs- und Personalräten und insbesondere auch für die Werkstatträte.

Liebe Anwesende, an dieser Stelle möchte ich den Blick etwas weiten. Die Mitbestimmungsrechte sind die eine Sache. Mit ihnen können die Bedingungen für Menschen mit Behinderungen auf dem ersten Arbeitsmarkt verbessert werden. Das ist elementar, denn ohne eine wesentliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen werden wir die Inklusion von Menschen mit Behinderungen auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht erreichen können.

Doch, meine Damen und Herren, ich sage auch sehr deutlich, dass das alleine nicht ausreicht. Die Betriebe müssen insgesamt mehr in die Pflicht genommen werden. Deswegen tritt meine Fraktion dafür ein, die Beschäftigungsquote deutlich anzuheben.
Es muss einiges in den Unternehmen in Bewegung geraten und das passiert nur wenn wir Druck ausüben. Deswegen muss gleichzeitig mit der Beschäftigungsquote die Ausgleichabgabe spürbar angehoben werden, um Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern Anreize für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen zu geben. Sogar Finanzminister Schäuble hat sich kürzlich für eine solche Anhebung ausgesprochen und er ist mit progressiven Vorschlägen sonst äußerst sparsam. Trotzdem hat sich noch nichts bewegt. Ich frage mich warum, denn das wäre eine gute Gelegenheit für die SPD gewesen, eine Erhöhung der Ausgleichsabgabe auf den Weg zu bringen.

Außerdem müssen wir die Integrationsbetriebe weiter stärken. Die Große Koalition hat einen ersten Schritt getan. Mit ihrem Antrag „Integrationsbetriebe fördern – Neue Chancen für schwerbehinderte Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt eröffnen“ hat sie 150 Mio. Euro für knapp 3 Jahre bereitgestellt. Damit sollen 4500 neue Stellen in Integrationsbetrieben geschaffen werden. Meine Damen und Herren, das finde ich gut.
Aber es muss auch deutlich gesagt werden, das ist keine langfristige Perspektive und angesichts der Lage von Menschen mit Behinderungen auf dem Arbeitsmarkt ein Tropfen auf den heißen Stein.
Wir brauchen eine dauerhafte Steuerentlastung und eine bevorzugte Vergabe von öffentlichen Aufträgen an Integrationsbetriebe. Damit können sie langfristig gestärkt werden.

Vor wenigen Wochen haben wir den Referentenentwurf der Novellierung des Behindertengleichstellungsgesetztes (BGG) erhalten. Derzeit prüfen wir den Entwurf genau. Es wird viele Verbesserungen geben. Die Belange von Frauen mit Behinderungen oder von Menschen, die von Mehrfachdiskriminierungen betroffen sind, werden beispielsweise im Entwurf explizit berücksichtigt. Es ist neben dem Verbandsklagerecht auch eine Schlichtungsstelle geplant und Leichte Sprache soll vermehrt von öffentlichen Trägern verwendet werden. Das sind alles Verbesserungen, auch wenn sie an der einen oder anderen Stelle nicht weit genug gehen und die Finanzierung mehr als wackelig ist. Mit dem Referentenentwurf werden private Unternehmen jedoch nicht stärker in die Pflicht genommen und das ist ein entscheidender Kritikpunkt. Ohne die Verpflichtung privater Unternehmen werden wir nie zu einer barrierefreien Gesellschaft kommen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir warten alle mit Spannung auf den Referentenentwurf des Bundesteilhabegesetzes. Die Vorlage wurde kürzlich erneut verschoben. In diesem Jahr werden wir sie wohl nicht mehr erhalten. Gerüchten zufolge dauert es sogar noch bis April.
Wir und viele andere Menschen in Deutschland hoffen, dass durch das Gesetz erhebliche Verbesserungen für die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen geschaffen werden. Unsere zentrale Forderung ist die persönliche Assistenz, die allen Menschen, die sie brauchen, unabhängig von Einkommen und Vermögen gewährleistet werden soll. Tatsächlich wird das in der Art voraussichtlich nicht umgesetzt. Es soll lediglich eine Anpassung der Einkommens- und Vermögensgrenzen für Menschen, die auf Assistenzleistungen angewiesen sind, geben. Und das auch noch ohne eine „neue Ausgabendynamik“ in Gang zu setzen, wie Frau Nahles sagt. Wie sie sich das vorstellt ist unklar.
Wir fordern über die persönliche Assistenz hinaus das „Budget für Arbeit“ als einen gesetzlichen Leistungsanspruch auszugestalten. Das ist unserer Ansicht nach ein wichtiges Instrument, das uns hilft Menschen aus den Werkstätten in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu integrieren.

Meine Damen und Herren, ich weiß, die LINKEN fordern immer viel. Aber ich möchte an dieser Stelle auch nochmal darauf hinweisen, dass die gleiche gesellschaftliche Teilhabe ein Menschenrecht ist. Es ist festgeschrieben in der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen. Dort steht, dass alle Menschen das Recht haben ihren Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen. Davon sind wir in Deutschland noch meilenweit entfernt. Deswegen bleibt uns gar nichts anderes übrig als zu fordern und den Finger immer wieder in die Wunde zu legen.
Das werden wir weiter tun und ich hoffe sehr, dass es Früchte tragen wird!
Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit.