Katrin Werner, DIE LINKE: Deutscher Behindertenpolitik fehlt die Menschenrechtspersektive

Deutscher Behindertenpolitik fehlt die Menschenrechtsperspektive

Katrin Werner, MdB

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Frau Bentele, am 3. Dezember 1993 wurde der Welttag der Menschen mit Behinderungen ins Leben gerufen. Viel ist zumindest seitdem auf dem Papier passiert. Wir haben eine UN-Behindertenrechtskonvention, die allen Menschen mit Behinderungen die gleichen Rechte zuspricht wie auch Menschen ohne Behinderung. Aber, an deren Umsetzung mangelt es.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben ein Behindertengleichstellungsgesetz, das einer Überarbeitung bedarf. Wir haben ein Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, einen neuen Teilhabebericht, einen laufenden Prozess zu einem Bundesteilhabegesetz und vieles mehr.

Aber ist der heutige Welttag der Menschen mit Behinderungen der Bundesregierung wirklich wichtig? - Letzte Woche wurde eine Debatte zum heutigen Tag vereinbart, und zwar mit einer Debattenzeit von nur 38 Minuten. Warum nicht mehr? - Die aktuellen Anträge der Oppositionsparteien werden einfach diese Woche Donnerstag irgendwann zu später Stunde unter Tagesordnungspunkt 33 „Abschließende Beratungen ohne Aussprache“ behandelt.

Meine Damen und Herren, wir sind in Deutschland noch meilenweit von einer inklusiven Gesellschaft entfernt, an der jeder Mensch selbstbestimmt und gleichberechtigt teilhaben kann - egal ob jung oder alt, egal ob mit Beeinträchtigung oder ohne, egal ob mit Migrationshintergrund oder ohne.

Seien wir alle hier doch mal ehrlich zu uns selber. Zur Schaffung einer inklusiven Gesellschaft bedarf es auch eines Blickes in die Kommunen. Was hilft den Kommunen ein Nationaler Aktionsplan auf Bundesebene, was hilft ihnen ein Aktionsplan auf Landesebene, wenn es an den entsprechenden Maßnahmen für Barrierefreiheit vor Ort mangelt? - In Kindergärten, Schulen, Turnhallen wurde jahrelang zu wenig investiert; der Putz fällt von den Wänden, oder es muss wegen Schimmelbefall geschlossen werden. Unsere Straßen sind marode. Investieren Sie endlich bedarfsorientiert in eine barrierefreie Infrastruktur!

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deutschland wird sich im März 2015 einer Prüfung durch die UN unterziehen. Ich bin mir sicher, dass sich dabei herausstellen wird: Der deutschen Behindertenpolitik fehlt weitgehend die Menschenrechtsperspektive. Das trifft zum Beispiel Flüchtlinge mit Behinderungen besonders hart. Es mangelt an barrierefreien Erstaufnahmeeinrichtungen und auch an angemessener ärztlicher Versorgung und vielem mehr. Das, meine Damen und Herren, ist nicht mehr hinnehmbar!

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

In den kommenden 15 Tagen begehen wir drei UN-Menschenrechtstage: den heutigen Welttag der Menschen mit Behinderung, am 10. Dezember den Welttag der Menschenrechte und am 18. Dezember den Internationalen Tag der Migrantinnen und Migranten. Das ist gut so, und das begrüßen wir alle ausdrücklich.

Frau Bentele, Ihre Wünsche haben wir alle vernommen, und ich möchte, dass wir gemeinsam dafür streiten, sie zu erfüllen.

(Beifall der Abg. Kathrin Vogler (DIE LINKE))

Ich möchte einen Teil der Forderungen vonseiten der Linken wiederholen:

Die Behindertenpolitik der Bundesrepublik muss konsequent unter einen Menschenrechtsblickwinkel gestellt werden.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es kann nicht sein, dass Menschen mit Behinderung aufgrund eines Bedarfs an Assistenz armgemacht werden. Wie notwendig es ist, daran etwas zu ändern, hat die Trierer Richterin Nancy Poser in der Anhörung am eigenen Beispiel dargestellt: Sie darf nicht mehr als 2 600 Euro ansparen; jede Summe darüber hinaus wird ihr abgezogen. Was macht sie, wenn mal das Auto kaputt ist? Wer soll das finanzieren? - Sie muss immer wieder auf ihre Eltern zurückgreifen. Meine Damen und Herren, das darf nicht sein!

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir fordern eine den Bedürfnissen entsprechende einkommens- und vermögensunabhängige persönliche Assistenz für alle Lebenslagen und gesellschaftlichen Bereiche.

(Beifall bei der LINKEN)

Das bedeutet: Assistenz in der Kindertagesstätte, Assistenz im Praktikum, Assistenz bei der Erziehung von Kindern, aber auch Assistenz im Ehrenamt.

Wir fordern eine Überprüfung aller Bundesgesetze. Schließlich hat sich die Bundesregierung mit der Unterzeichnung der Behindertenrechtskonvention dazu verpflichtet, alle Gesetze entsprechend der Konvention anzupassen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir fordern die freie Wahl von Wohnort und Wohnform. Niemand darf aufgrund seines hohen Assistenzbedarfs gezwungen werden, im Heim zu leben.

Wir fordern, dass Flüchtlingen mit Behinderungen die gleichen Rechte eingeräumt werden wie anderen Menschen mit Behinderungen.

Wir fordern Leistungen aus einer Hand und nicht von verschiedenen Ämtern. Und ja, schaffen Sie den Dschungel an Bürokratie ab!

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir fordern eine stärkere Förderung von Integrationsbetrieben und die Schaffung von Alternativen zu Werkstätten für Menschen mit Behinderung.

Wir fordern, dass die Menschenrechte von Menschen mit Behinderung nicht länger unter Kostenvorbehalt gestellt werden. Die schwarze Null darf nicht weiter im Zentrum stehen, wenn sie die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention verhindert.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen die Brille des Geldes absetzen und weg von der schwarzen Null des Herrn Finanzminister, der sich die schwarze Null heute noch schönredet, die aber unseren Kindern morgen auf die Füße fällt.

Ich weiß, ich habe meine Redezeit überzogen; aber ich möchte mit einem Appell an uns alle schließen: Gehen wir alle am Montag in unsere Wahlkreise und machen wir uns stark für die Erstellung und Umsetzung von bedarfsorientierten kommunalen Aktionsplänen! Bitte verneinen Sie nicht von vornherein die Erfüllung wichtiger Forderungen mit dem Argument der Kosten.

Danke.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES)