"Völkermord an Armeniern anerkennen"

Katrin Werner

Anlässlich des morgigen 95. Jahresgedenken an den Völkermord an den Armeniern erklärt Katrin Werner, Mitglied im Menschrechtsausschuss des Bundestags und der Parlamentarischen Versammlung des Europarats:

Anlässlich des morgigen 95. Jahresgedenken an den Völkermord an den Armeniern erklärt Katrin Werner, Mitglied im Menschrechtsausschuss des Bundestags und der Parlamentarischen Versammlung des Europarats:

„Jedes Jahr am 24. April gedenken die Armenierinnen und Armenier weltweit des Völkermords an ihren Vorfahren im Osmanischen Reich während des Ersten Weltkriegs.
Die Verhaftung und Ermordung der intellektuellen, politischen und künstlerischen Elite der Armenier in Istanbul bildete den Auftakt einer von der jungtürkischen Regierung vorsätzlich geplanten und durchgeführten Vernichtungsaktion. Die Männer im wehrfähigen Alter wurden meist massakriert, Frauen, Kinder und Greise starben massenhaft auf endlosen Todesmärschen ins Landesinnere.
Sofern sie nicht unterwegs von Wachmannschaften, Todessschwadronen oder marodierenden Banden ermordet wurden, erwartete die Deportierten spätestens in der syrischen und nordmesopotamischen Wüste der sichere Tod.

Unabhängigen Forschungen zufolge fielen bis zu 1,5 Millionen Armenierinnen und Armenier dem grausamen Vernichtungswerk zum Opfer. Deutschland war damals als engster militärischer Verbündeter des Osmanischen Reichs sowohl Mitwisser und teilweise Mittäter.
Ich verneige mich vor den Nachkommen der Überlebenden des Genozids in aufrichtiger Anteilnahme und tiefer Trauer über dieses unfassbare Verbrechen, an dem auch Deutschland Mitschuld trägt.

Die Armenierinnen und Armenier haben einen Anspruch darauf, dass die Türkei als Rechtsnachfolgerin des Urheberstaats und sein deutscher Mithelfer diesen Völkermord endlich eingestehen. Die Haltung der deutschen Bundesregierung ist beschämend: sie weigert sich bis heute, die vorsätzliche Vernichtung der osmanischen Armenier juristisch präzise als Völkermord zu benennen. Sie unterstützt trotz des umfangreichen Aktenmaterials in ihrem eigenen Politischen Archiv des Auswärtigen Amts die Forderung der Türkei, eine bilaterale türkisch-armenische Historikerkommission mit der Frage zu befassen, ob der Völkermord überhaupt stattgefunden habe. Sie benutzt damit das Leid der Opfer als Spielball für ihre tagespolitischen Interessen. Nichts schmerzt die Opfer aber so sehr wie die Leugnung des Verbrechens. Niemand beschuldigt heute lebende Türkinnen und Türken für Taten der damaligen Regierung. Aufgrund der jahrzehntelangen staatlichen Geschichtsschreibung verfügt die Bevölkerung in der Türkei leider nur über ein bruchstückhaftes historisches Wissen. Dennoch dürfen bei der Anerkennung der historischen Tatsachen keine Abstriche gemacht werden. Umso mehr sind alle jüngsten Bemühungen der türkischen Zivilgesellschaft für eine ehrliche Geschichtsaufarbeitung zu würdigen.
Diejenigen Menschen in der Türkei, die den Völkermord trotz nach wie vor schwieriger Bedingungen anerkennen, verdienen den höchsten Respekt. Sie setzen ein klares Zeichen der Menschlichkeit und für die demokratische Zukunft ihres Landes. Der morgigen, erstmaligen Gedenkveranstaltung in Istanbul wünsche ich viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer und gutes Gelingen.“